»Die zivilisatorische Schicht, die uns von der Wildnis trennt, ist nicht dicker als drei Tage.«

GARY SNYDER

Dieses Zitat drückt für mich aus, was ich draußen am Meer immer wieder aufs Neue erlebe: Ich trage die uralte Verbundenheit mit der Natur in mir. Und es ist tatsächlich nur eine dünne zivilisatorische Schicht, die meine tief verwurzelte Sehnsucht nach der ursprünglichen Naturverbundenheit zudeckt. Nach kurzer Zeit am Meer bin ich wieder angekommen – im Rhythmus der Natur, in der Kraft der Stille und bei mir.
Ich bin zurückgekehrt in eine Welt, aus der ich gekommen bin, in eine Verbundenheit, die in jeder meiner Zellen gespeichert ist.
In der Natur komme ich wieder mit meinem ursprünglichen Lebensrhythmus, der mir zum Anbeginn meiner Lebensreise in mein Herz gepflanzt wurde, in Berührung: dem Takt der Natur.

Es ist der Takt von Einatmen und Ausatmen Der Takt von Tag und Nacht
Der Takt der Jahreszeiten
Der Takt von Ebbe und Flut
Es ist der wahre Takt des Lebens.

Diesen Takt des Lebens zu spüren, ihn wahrzunehmen, erinnert mich an meine ursprüngliche Natur. Wenn ich in die Natur gehe, eröffne ich mir die Möglichkeit, mein eigenes Leben wieder in der natürlichen Welt zu verorten und zu spiegeln.
Ein Gefühl von Nach-Hause-Kommen nimmt sich seinen inneren Raum.

Es sind die Prinzipien von Annahme und Loslassen, von Aktivität und Ruhe, von Verwurzelung und Wachstum, von Leben und Tod, die ich bewusst und unterbewusst in der Natur wahrnehme und mit meinem Menschsein in Verbindung bringe. Ich komme wieder in Resonanz mit meinem Leben, erfahre Dankbarkeit, Fülle und Endlichkeit. Das natürliche Gefühl einer Verbundenheit mit den Elementen und anderen Lebewesen wird durch meine Naturerfahrungen zu einem spirituellen Erlebnis, weil diese Erfahrungen zur Quelle meiner Empathie und meines Mitgefühls für alles Lebendige und das Leben selbst werden.

Alles ist mit allem verbunden und ich bin ein Teil dieser All-Verbundenheit.

Die Folgen der Entfremdung

Die globalen und gesellschaftlichen Krisen unserer Zeit sind ein Ausdruck dafür, dass wir unsere natürliche Verbundenheit zur Natur aufgegeben und verloren haben. Wir plündern diesen Planeten aus, weil wir ihn nicht mehr fühlen und uns auf unserer äußeren Reise aus unserer Verbundenheit mit allem Leben losgesagt haben. Wir haben uns über die Natur gestellt, statt unseren Platz in der Natur einzunehmen. Mit der Naturentfremdung haben wir uns auch als Menschen entfremdet. Und so ist auch die aktuelle Pandemie ein Ergebnis unseres unablässigen Profitstrebens. Wir plündern die Naturräume aus und schaffen uns so unsere eigenen,lebensgefährlichen Bedrohungen, weil wir dem Leben selbst seinen Raum nehmen.

Unsere industrielle Fleischproduktion in Massentierhaltungen, die Aufzucht von Farmlachsen, die Jagd auf Wild- tiere, der auszehrende Umgang mit den Ackerböden, der maßlose Umgang mit Pestiziden und Umweltgiften, die Meeresverschmutzung mit Plastik, Kreuzfahrttourismus, Flugreisen zu Billigtarifen … ich könnte die Liste an dieser Stelle endlos weiterführen, jede dieser Anmerkungen ist ein zivilisatorischer Ausdruck unserer Unverbundenheit mit dem Leben selbst.
Es ist ein Leben nach dem Motto »Nach uns die Sintflut«. Unsere Empathielosigkeit geht sogar so weit, dass wir für unser Profitstreben und der ewigen Gier nach steigendem Bruttosozialprodukt sogar die Verbundenheit mit den nachfolgenden Generationen, unseren Enkeln und Urenkeln, rücksichtslos opfern.
Wir fühlen diesen Planeten und die nächsten Generationen nicht. Und am Ende schon lange uns selbst nicht mehr.

Wieder zusammen am Lagerfeuer sitzen

Jeder Mensch trägt aber nach wie vor die Sehnsucht nach dieser alten Verbundenheit, nach reiner Natur und dem balsamischen Takt des Lebens in seinem Herzen, auch wenn sie verschüttet ist. Aber das moderne digitalisierte und globalisierte Leben mit seinen Anforderungen treibt viele Menschen aus diesem Takt und aus dieser Verbundenheit heraus.
Wir klicken uns durch unser Leben. Partnerwahl, Einkäufe, Info-Dienste – alles ist auf Knopfdruck verfügbar. Dazu das Abtauchen in die Social-Media-Accounts, in denen es oftmals nur um Likes, Follower und Selbstdarstellung geht. Statt Verbundenheit macht sich Einsamkeit, Konkurrenzdenken und Oberflächlichkeit breit, weil sich eine Verbundenheit im ursprünglichen Sinne so nicht darstellen und erleben lässt.
Wir sind Naturwesen.
Wir kommen vom Feuer. Dort haben wir auf Augenhöhe Gemeinschaft erlebt, Geschichten geteilt und unsere Erfahrungen ausgetauscht. Unsere innere Welt, unsere Emotionen sind über Zehntausende von Jahren in kleinen Jäger- und Sammlerkulturen geprägt worden. Das ist die emotionale Erfahrungssicherheit, die wir zu Beginn unserer Lebensreise im Gepäck haben.
Deshalb trägt jeder Mensch auch eine natürliche Sehnsucht nach Gemeinschaft in sich.

Das ist der Grund, warum jeder Mensch beim Blick in ein Lagerfeuer in kürzester Zeit andächtig und ruhig wird. Innere und äußere Welt kommen wieder in Harmonie. Eine alte Verbundenheit nimmt sich am Lagerfeuer wieder ihren Raum. Und wie beim Eintauchen in die Natur, macht sich auch am Feuer ein Gefühl von Nach-Hause-Kommen breit.

Ein Mensch braucht diese liebevolle Verbundenheit mit anderen, weil sie ihm Sicherheit und Rückhalt gibt. Gemeinschaft trägt.
Und zu diesem spirituellen Gerüst gehört unbedingt auch der liebende Blick auf die nächsten Generationen. Fehlt diese Verbundenheit im modernen Leben, nehmen sich Gefühle wie Einsamkeit und Angst ihren Raum.
Und so sind die alten Feuerbilder auch die Tore zu einer Verbundenheit im modernen Leben.

Die wichtigsten Fragen haben sich nicht verändert:

Wofür brenne ich?
Wo brennt mein Feuer?
Wer sitzt mit mir an meinem Feuer? Welche Geschichten erzähle ich an meinem Feuer?

Die Antworten auf diese Fragen sind das Tor, um Verbundenheit im eigenen Leben wieder zu kreieren und zu fördern.

Medizin für die Seele und den Planeten

In unseren Herzen ruht immer noch das balsamische Wissen um unsere ursprüngliche Verbundenheit mit der Natur und mit anderen Menschen. Wenn wir viele der aktuellen Probleme lösen wollen, ist es eine gute Idee, durch dieses Tor der Erinnerung zu gehen. Die größte Medizin für uns und diesen Planeten wäre es, wenn wir uns auf den Weg machten, diese ursprüngliche in uns ruhende Verbundenheit zu anderen Menschen und zur Natur wieder zu fördern und herzustellen.

Wir müssen uns daran machen, nachhaltige Wirtschaftskonzepte zu entwickeln, die das Leben selbst, in all seinen Facetten, wieder in den Blick nehmen und würdigen. Jeder von uns kann seinen Beitrag dazu leisten. Mit seinem eigenen Leben hat jeder von uns einen eigenen Gestaltungsraum mit auf seine Lebensreise bekommen. Einen Raum, in dem er seine eigene Verbundenheit mit der Natur leben, ausdrücken und pflegen kann. Wo und was kaufe ich ein? Wie reise ich? Wo kommt meine Nahrung her? Was brauche ich wirklich zum Leben? Wie gestalte ich meinen Garten? Jede dieser Fragen ist ein Zugang, die alte Verbundenheit zur Natur zu würdigen und mit Leben zu füllen. Es ist eine Reise, im eigenen Leben wieder mehr Sinn, Zufriedenheit und Verbundenheit zu stiften.
Es ist Medizin für den Planeten und für die eigene Seele.

Mir kommt an dieser Stelle immer mein Freund Lars in den Sinn, mit dem ich vor ein paar Jahren an einem Lagerfeuer am Strand saß und wir über unsere Naturverbundenheit philosophierten. »Stell dir vor …«, begann er damals, »jeder Grundstückseigentümer würde vier Gehwegplatten auf seinem Grundstück wieder rausnehmen und Mutter Erde auf diesem Raum wieder atmen lassen. Und nicht nur das, er würde auf dieser kleinen Fläche das Leben selbst wieder ansiedeln mit einem Busch, Pflanzen, einem Baum – oder auf der Fläche Wildblumensaat ausbringen.
Stell dir das nur mal vor!«, sagte er damals und ich finde das bis heute eine schöne Vorstellung, weil es genau darum geht:
Was kann ich in meinem Leben, in meinem Gestaltungsraum dafür tun, das Leben selbst wieder zu fördern und eine alte Verbundenheit wieder mit Leben zu füllen?
Im wahrsten Sinne des Wortes.

Da sind die Gehwegplatten nur ein Anfang, da bin ich mir sicher!

Viel Freude
auf dieser Reise!